Detlev von Liliencron              Abschied vom Leben

1844 – 1909

Ins halb schon tote Herz. ins alte, grüßen

Noch einmal Vogelsang und Sommerranken.

Wie blau der Himmel; welch ein lustig Schwanken

Der grünen Blätter, die sich neckend küssen.

 

Und nun das herbe Abschiednehmenmüssen.

Vorbei, wie zögernd, gleiten in Gedanken

Die wenigen Stunden, die ins Herz mir sanken

Mit reinen Seligkeiten und Genüssen.

 

Gönnt mir den letzten Trunk aus diesen Schalen,

Eh ich hinab muß in die grauen Gründe;

O gönnt ihn mir als letzte meiner Qualen!

 

Lebt wohl! Klagt euerm Gott all meine Sünde!

Ihr kennt die Schmerzen nicht, die in mein Leben

Sich gruben; sonst – ihr würdet mir vergeben.

 

 

 

 

 

Detlev von Liliencron              Auf eine Hand

1844 – 1909

               Die Hand, die zitternd in der meinen lag

Am Maientag, als weit die Amseln sangen,

Die heimlich mir, ein unbewußt Verlangen,

Im Garten einst die frische Rose brach.

 

Die mir, wenn staubbedeckt der heiße Tag

In Mannespflicht und Arbeit war gegangen,

Am weißen Arme blitzten goldne Spangen,

Den kühlen Trunk kredenzte im Gemach.

 

Die liebesstill manch Hindernis entrückte

Und breite Sorgenströme überbrückte,

Die treue Hand, die schöne, anmutreiche.

 

O laß sie ruhen einst auf meinem Herzen,

Wenn ich verlasse dieses Land der Schmerzen,

Daß ich gesegnet bin, wenn ich erbleiche.

 

 

 

 

 

Detlev von Liliencron              Auf dem Deiche

1844 – 1909

 

I.

 

Es ebbt. Langsam dem Schlamm und Schlick umher

Enttauchen alte Wracks und Besenbaken,

Und traurig hüllt ein graues Nebellaken

Die Hallig ein, die Watten und das Meer.

 

Der Himmel schweigt, die Welt ist freudenleer.

Nachrichten, Teufel, die mich oft erschraken,

Sind Engel gegen solchen Widerhaken,

Den heut ins Herz mir wühlt ein rauher Speer.

 

Wie sonderbar! Ich wollte schon verzagen

Und mich ergeben ohne Manneswürde,

Da blitzt ein Bild empor aus fernen Tagen:

 

Auf meiner Stute über Heck und Hürde

Weit der Schwadon voran seh ich mich jagen

In Schlacht und Sieg, entlastet aller Bürde.

 

 

II.

 

Bist du es wirklich? sitz ich neben dir?

Und stoßen aneinander unsre Gläser?

Spielt irgendwo ein Flötenbläser

Sein sanftes Schäferstückchen, dir und mir?

 

Und sitzen in der alten Halle wir,

Am Pfeiler dort der Kranz der Ährenleser,

Noch unverwelkt die Blumen und die Gräser?

War gestern unser letztes Erntebier?

 

Wie Gruß aus Grüften ruft der Regenpfeifer;

Häßlich herüber schreit das Möwenheer,

Der see-enttauchten Bank Besitzergreifer.

 

Langweilig, öde, gleißt das Wattenmeer,

Gezwungen schläft das Schiff, der Wellenschweifer,

Und einsam ist die Erde, wüst und leer.

 

 

III.

 

Wie klar erschienst du heute mir im Traum!

Wir saßen in der Kneipe fest und tranken,

Bis wir gerührt uns in die Arme sanken,

Auf unsern Lippen lag der erste Flaum.

 

Dein falber Wallach schleifte Zeug und Zaum,

Und biß und schlug und warf den Hals, den schlanken.

Im Sattel sah ich dich, erschossen, schwanken

Und hinstürzen am wilden Apfelbaum.

 

Die Watten stinken wie das Leichenfeld,

Wo viel Erschlagne faulen nach der Schlacht,

Tagüber sonnbeschienen ohne Zelt.

 

Geheimnisvoll, wie tot in Bann und Acht,

Sinkt, grau und goldumhaucht, die Halligwelt,

Und aus der Abendröte steigt die Nacht.

 

 

IV.Begegnung

 

Halt, Mädchen, halt! und sieh dich um geschwind,

Viel Schiffe schaukeln westwärts durch die Wellen,

Viel hundert bugumspritzte Sturmgesellen,

Hengist und Horst befahlen Weg und Wind.

 

Du lachst mich aus und zeigst dich völlig blind,

So mögen aneinander sie zerschellen.

Hier aber blitzen Fliegen und Libellen,

Verzieh ein Stündchen, frisches Friesenkind.

 

Auch uns hat heut der Juni eingewiegt,

Und Schmetterlinge selbst, die Gauklerbande,

Sind durch die Frühlingsstürme nicht besiegt.

 

Auch hier ein Sommertag, an diesem Strande,

Wo alles schwirrt und flirrt und flitzt und fliegt,

Aus Freude flimmert selbst der Stein im Sande.

 

 

V. Dezember

 

Von Norwegs Felsen klingt es zu mir her,

Ein Lied so rührend und im Klang so leise,

Wie Sommerwellgespül dieselbe Weise;

Ein armer Geistgetrübter singt so schwer.

 

Ein junger blonder König steht am Speer,

Auf rotem Vorsprungriff; um ihn im Kreise,

Das Haupt zur Erde, kauern hundert Greise.

Er singt das Lied und schaut hinaus ins Meer.

 

Lautlose Stille rings. Von Zeit zu Zeit

Tutet das heisere Horn der Küstenwachen;

Der Rabe macht entsetzt die Flügel breit.

 

Weit, weit antwortet wo der Fischernachen,

Der sich im Nebel schwer vom Eis befreit,

Schollen, die knirschen und ihn wüst umkrachen.

 

 

 

Detlev von Liliencron              Zwei Sterbende

1844 – 1909

Der eine hatte Geld und just genug,

Des Lebens Schwere ruhig zu ertragen;

Nach keinem Menschen braucht Mylord zu fragen,

Und keines Hospodaren Rock er trug.

 

Der andre trieb im Schweiße seinen Pflug,

Hoch wie die Wolken sah das Glück er jagen,

Auf jeder Rennbahn blieb zurück sein Wagen,

Statt Weines fand er nur den Wasserkrug.

 

Der erste sprach, als ihn der Tod umfing

Und ihm den schwarzen Mantel überhing:

Ich sterbe gern, es rufen mich die Sterne.

 

Der zweite rief, als er die Augen schloß

Und ihn die träge Welle überfloß:

Kein Eden will ich, ach, wie sterb ich gerne!